Vortragsreihe „WIE WURDEN WIR MENSCH?“ im Institut für Geowissenschaften Heidelberg

Am 5. und 6. November fand zum zweiten Mal die Vortragsreihe der Stiftung Urmensch von Mauer statt. Dieses Mal im geowissenschaftlichen Institut der Universität Heidelberg. Vier renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Tübingen, Mettman und Frankfurt stellten sich und den interessierten Zuhörern Fragen wie: „Gab es vor 12 Millionen Jahren aufrecht gehende Menschenaffen in Europa?“ „Ist der Homo sapiens ein biokultureller Kompromiss?“ „Auf welchem Weg eroberte der Neandertaler vor 40 Tausend Jahren auf seinen Weg aus Europa Asien?“ „Was erzählen uns Steinzeitgenome über unsere Herkunft in Europa?“

„Der Stammbaum des Menschen hat heute eher die Bezeichnung Stammbusch verdient, denn es hat sich in den vergangenen 20 Jahren in der Stammbaumforschung unglaublich viel getan“, sagt Kristina Eck von der Stiftung Urmensch von Mauer. Kürzlich wurde der Paläogenetiker Svante Pääbo für die Entschlüsselung der Erbinformation des Neandertalers mit dem Nobelpreis ausgezeichnet und zusätzlich sind viele Urmenschenfunde erfolgreich auf DNA und Proteine untersucht worden. Je mehr neue paläogenetische Erkenntnisse auftauchen, umso mehr neue Fragen tauchen auf. Den interessierten Zuhörer im Hörsaal der Geologie wurden neueste und spektakuläre wissenschaftliche Ergebnisse präsentiert. Wanderte ein aufrecht gehender Affe vor 11 Millionen Jahren von Europa nach Afrika aus, weil sich in Europa das Klima für ihn verschlechterte? Prof. Dr. Madelaine Böhme (Eberhard-Karls-Universität Tübingen) fand 2016 bei Kaufbeuren Kochen von einer Affenfamilie und erläuterte anschaulich, aus welchen Merkmalen sich der aufrechte Gang ableiten lässt.

Prof. Dr. Ottmar Kullmer (Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt) berichtete darüber, dass wir vom anfänglichen Jäger- und Sammlerdasein über die Sesshaftigkeit vor etwa 10.000 Jahren mit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert eine dauerhafte Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände eine sehr rasche und tiefgreifende gesellschaftliche und physische Veränderung erlebt haben. Er stellte die Fragen: Wie gut sind wir denn eigentlich als Organismus an ein solches modernes Leben angepasst? Lassen die vielseitigen skelettalen Gebrechen und andere Zivilisationskrankheiten, mit denen wir uns herumplagen, vermuten, dass unser biologischer Organismus seiner Zeit hinterherläuft?

Dr. Elham Ghasidian (Neandertal Museum Mettmann) berichtete über die Wanderungen der europäischen Neandertaler durch das Gebiet des heutigen Irans, durch einen Korridor südlich des Kaspischen Meeres. Hier wurden unglaubliche Mengen von Werkzeugen der Neandertaler gefunden und auch Siedlungsplätze werden vermutet. Der Homo sapiens hatte vielleicht bereits eine Handelsbeziehung zu diesen wandernden Neandertalern.

Junior Prof. Dr. Cosimo Posth (Universität Tübingen) ist ein ausgesprochener Spezialist für Paläogenetik und erläuterte Die genetische Geschichte Europas „Was die Steinzeit uns über unsere Herkunft erzählt“.

Das Forschungsfeld der Paläoanthropologie und führt immer wieder zu spannenden Diskussionen. Bei der abschließenden Podiumsdiskussion trugen Böhme und Kullmann den akademischen Disput aus: Wanderte der aufrecht gehende Mensch erstmals aus Afrika aus oder wanderte ein aufrecht gehender Affe schon früher nach Afrika ein? Das Publikum diskutierte eifrig mit und stellte den Wissenschaftlern viele Fragen.


Programm


Samstag, 5. November 2022

13:00 Uhr
Miozäne Menschenaffen Europas und ihre Bedeutung für die Evolution der Hominiden
(in deutscher Sprache)

Referentin: Prof. Dr. Madelaine Böhme, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Menschenartige (Hominoidea) besiedelten Europa im Miozän über einen Zeitbereich von 10 Millionen Jahren. Über zehn nachgewiesene Gattungen bezeugen für diesen Zeitraum eine hohe taxonomische Diversität. Durch Funde im neuen Jahrtausend wird zunehmend klarer, dass auch die Diversität der Fortbewegung höher war als bisher vermutet. Dabei spielen frühe Formen der Bipedie eine große Rolle und werfen Fragen auf zur Bedeutung von Homoplasien (Konvergenz, Parallelentwicklung) im Stammbaum der Menschenaffen (Hominidae) und der Menschen (Hominini). In meinem Vortrag stelle ich einige der neuen Funde vor (Danuvius, Rudapithecus, Graecopithecus) und diskutiere mögliche Szenarien ihrer stammesgeschichtlichen Einordung.


15:00 Uhr
„Wer wir waren  ̶  wer wir sind: Homo sapiens, ein biokultureller Kompromiss“
(in deutscher Sprache)

Referent: Prof. Dr. Ottmar Kullmer, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt

Der einzigartige evolutionäre Weg zum modernen Menschen, Homo sapiens, war durch eine Vielzahl von Vor- und Urmenschenformen geprägt. Die Diversität der Homininen spiegelt die direkten Wechselwirkungen von biologischen Prozessen und Umweltbedingungen wider. Die Homininen selbst reagierten im Rahmen ihrer physiologischen Flexibilität und Variabilität mit entsprechenden morphologischen Veränderungen im Rahmen der im Laufe der Evolution erworbenen konditionierten biologischen Vorbedingungen. So beeinflussen zum Beispiel biomechanische Belastungen in unserem Skelettsystem die Prozesse des Knochenumbaus, welche sich über Generationen hinweg aufgrund bestimmter Umweltbedingen etabliert haben. Ab etwa drei Millionen Jahren vor heute kam nun eine weitere entscheidende Einflussgröße hinzu, die kulturelle Evolution, inklusive aller daraus resultierenden Verhaltensänderungen. Auch die Kultur ist beeinflusst durch den direkten Lebensraum und andere Umweltfaktoren, wie zum Beispiel das Klima.

Die Entstehung des aufrechten Ganges bei den frühen archaischen Homininen vor ca. sieben Millionen Jahren in Afrika war einer der entscheidenden Schlüsselmomente in der menschlichen Evolution. Die folgende Weiterentwicklung zur Fähigkeit eines einzigartigen bipeden ausdauernden Gehens war u.a. geprägt durch massive Umbaumaßnahmen in unserem gesamten Skelettsystem.

Die Evolution zum Menschen besteht aus einem Geflecht von biologischen und kulturellen Faktoren, deren Geschwindigkeit zum Teil erheblich variierte. Zum Beginn zwischen sieben und drei Millionen Jahren standen dabei biologische Faktoren im Vordergrund, und damit verbundene deutliche anatomische und physiologische Änderungen, während später eine immer raschere Entwicklung von Kultur, Kommunikation und Sozialverhalten, basierend auf komplexeren Gehirnstrukturen dominierten, bis schließlich vor ca. 300.000 Jahren Homo sapiens in Afrika entstand.

Vom anfänglichen Jäger- und Sammlerdasein über die frühe Sesshaftigkeit haben wir etwa seit Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem Beginn der Industrialisierung, und der damit verbundenen dauerhaften Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände sehr rasche und tiefgreifende gesellschaftliche und physische Veränderungen erlebt, so dass sich aus biologischer Sichtweise die Frage stellt, wie gut sind wir denn eigentlich als Organismus an ein solches modernes Leben angepasst? Zumindest lassen die vielseitigen skelettalen Gebrechen und andere Zivilisationskrankheiten, mit denen wir uns herumplagen, vermuten, dass unser biologischer Organismus seiner Zeit hinterherläuft.

Der Beitrag möchte anhand einiger Beispiele aufzeigen, was wir aus unserer evolutionären Vergangenheit lernen können, um so manche Krankheitsentwicklung und Symptomatik in der Moderne in ihren Ursachen besser zu verstehen.


Sonntag, 6. November 2022

13:00 Uhr
Between high mountains and the sea: ecological diversity and hominin adaptability in the Southern Caspian Sea Corridor during Late Pleistocene
(in englischer Sprache)

Referentin: Dr. Elham Ghasidian, Neandertal Museum Mettmann

Abstract: The narrow area of Southern Caspian Sea Corridor (SCC) is bounded by the northern slopes of high and rugged east-west oriented AlborzMountain ranges that separate the inner lowland deserts of the Iranian Plateau in the south from the Caspian Sea in the north. In its eastern-most part, Alborz Mountains joins the Kopet Dagh-Khorassan mountains, while from north-west and west it connects to the Lesser Caucasus and Zagros respectively. It is a remarkable setting in the whole Iran and in the Middle East. SCC is partly covered by the Caspian Hyrcanian forest. This forest covers around 55,000 square kilometres. Despite being narrow, a wide diverse topography and strong environmental heterogeneity offered a flora and faunal diversity in this area. Phylogeographical studies of flora and faunal species shows the persistence of several species during glacial periods in the SCC, introducing it as refugium of Hyrcania. Following C. McBurney’s idea that any movement from the west might be expected to pass SCC en route to the Central Asia, the SCC research project conducted intensive Palaeolithic investigations in this area to track late Pleistocene hominins. This contribution presents a new look on the human/environment interactions and their developments during late Pleistocene. I hypothesize that SCC acted as dual role of biogeographical corridor of expansion and habitat, witnessed series of human evolutionary events occurred during Late Pleistocene.


15:00 Uhr
The genetic history of Europe. What Stone Age genomes tell us about our origins.
(in englischer Sprache)

Referent: Jun. Prof. Dr. Cosimo Posth, Universität Tübingen

Abstract: Paleogenetics provides unique information to reconstruct the genetic history of Europe. Prof. Cosimo Posth from the University of Tübingen, an expert in the evolutionary history of European hunter-gatherers, will provide insights into what we have learned studying the DNA of Neanderthals and ancient humans.


18:00 Uhr
Podiumsdiskussion
Um die Vortragsreihe abzurunden, findet am Sonntag um 18:00 Uhr eine Podiumsdiskussion (in deutscher Sprache) statt, bei der die Inhalte der Vorträge aufgegriffen werden. Einige der Referenten werden unter Moderation des 2. stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins Homo heidelbergensis von Mauer e.V., Dr. Jürgen Schweizer, unter Einbezug der Hörerschaft diskutieren, ob an der „Out of Africa“-Theorie noch festgehalten kann und welche Bedeutung die Paläogenetik für die Stammbaumforschung hat.


Veranstaltungsort

Institut für Geowissenschaften
Großer Hörsaal/Museum
Im Neuenheimer Feld 235
69120 Heidelberg

Die Teilnahme an den Vorträgen und der Diskussionsrunde ist kostenfrei.

Corona: bei sich ändernder Sachlage der dann geltenden Verordnung hinsichtlich Abstände, Hygienevorkehrung, gegebenenfalls Maskenpflicht etc., passen wir die Regeln an.